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Transnormal

Claudia Sabine Meier (*1968) gilt als eine der bekanntesten zeitgenössischen Transfrauen der Schweiz. Sie setzte verschiedene Präzedenzfälle für Transgendermenschen durch. (Die Schweiz hat kein spezielles Gesetz für Transmenschen.) So konnte sie den Namen und den Personenstand ändern, ohne medizinische Massnahmen vollziehen zu müssen.
Claudia Sabine Meier lebte 41 Jahre als Andreas Meier. 2012 wurde sie zur ersten Transgender-Frau in der Schweizer Armee. Mit Vorträgen und Workshops engagiert sie sich für mehr Verständnis in der Gesellschaft für Transmenschen.

Frau Meier, Sie lebten über 40 Jahre ein Leben als Mann, obwohl Sie sich als Frau fühlten. Wie hält man das so lange aus?

Claudia Sabine Meier: Es ist, als wäre man in einem Zimmer, ohne Fenster und Licht eingesperrt und keiner kommt je zu Besuch. Es ist bedrückend und schmerzhaft. In meinem Buch «Oh Mann, Frau Meier» beschreibe ich dieser Zustand ausführlich.
Jahrzehnte lang führte ich ein Doppelleben: Niemand der Andreas kannte, durfte wissen, dass es Claudia gibt und niemand der Claudia kannte, durfte wissen, wer sie ansonsten ist oder wo sie arbeitet. Zu gross war die Angst vor möglichen Konsequenzen. Zu sehr fürchtete ich, als Unternehmer und Hotelier erpressbar zu werden. Es war eine Grenzerfahrung im wahrsten Sinne des Wortes. Andreas war für mich eine Rolle, die von mir erwartet wurde und die ich für die Gesellschaft, die Familie, meine Gäste und Mitarbeiter, für Freunde und Bekannte leben musste.

Das erwähnte Buch beinhaltet übrigens auch viele humorvolle Stellen. Es hat einerseits Tiefgang, ist aber auch mit Selbstironie gespickt. Ich sage immer: «Es ist das ideale Nachttischbuech».

Gab es einen speziellen Auslöser für Ihr Coming-out?

Ja, irgendwann fürchtete ich, dem Druck nicht mehr standhalten zu können. Ich wusste, wenn ich so weiter mache, werde ich sehr bald tot sein. Schlussendlich war es ein glücklicher Umstand, ein Telefonanruf, der mich wach rüttelte. Danach wusste ich: «Jetzt musst du dir Hilfe suchen!»
Irgendwie hatte ich gehofft, auf wundersame Weise «Claudia» verdrängen zu können. Ich wollte, dass sie Ruhe gibt und mich als Mann, denn ich zu sein hatte, leben lässt.
Später wurde ich jedoch durch die Begleitung einer Fachperson eines Besseren belehrt. Man kann den eigenen Kern nicht umprogrammieren. Ich lernte verstehen und merkte bald einmal, dass ich keine Wahl hatte und dass ich nur als Claudia weiterleben und überleben konnte.

Hat Sie die Geschlechtsanpassung auch innerlich verändert?

Jein. Ich weiss, diese Antwort ist verwirrend. Die körperliche Anpassung hat mich eher weniger verändert, aber die Tatsache, mich nicht mehr verstellen zu müssen, schon. Das war unbeschreiblich befreiend. Ich verwandelte mich vom introvertierten, verschlossenen, mürrischen Misanthropen zur lachenden, fröhlichen und menschennahen Claudia. Ich hatte gelernt, was es bedeutet, frei zu sein. Das verändert einen Menschen viel mehr als Hormone das tun können.

Laut militärischer Krankheitslehre sind Transsexuelle zwingend dienstuntauglich. Wie kam es, dass Sie trotzdem Dienst leisten konnten?

Weil ich statt Haaren, Fell auf den Zähnen habe. – Nein im Ernst: Ich verfasste ein Wiedererwägungsgesuch. Dieses Gesuch wurde von einem sehr tollen und openmindeten Arzt beurteilt, der sagte: «Es wird langsam Zeit, mit diesen alten Vorurteilen aufzuräumen».

Dem ersten Arzt hatte ich gesagt: «Dokter, ich weiss ja nid wie’s bi euch isch, aber mit dem wo mär hüt fählt, dänke ig ja nid …». Meine Fähigkeiten hatten sich nicht verändert. Sie wurden ja nicht weniger wegen dem kleinen Schnitt im Schritt. Offenbar war dieser Rekrutierungsarzt anderer Meinung.
Nun gut, die Armee war dann kurzzeitig recht überfordert mit dem Entscheid des Oberfeldarztes und dem des zweiten Rekrutierungsarztes. Zuerst wurde ich mit der Aussage abgespiesen, dass man sich im Moment, «auf Grund meiner Vergangenheit», für einen anderen Kandidaten entschieden habe … Dies wiederum wirkte bei mir, als hätte man Öl ins Feuer gegossen. Zuletzt, nach einigem Hin und Her, durfte ich als Koch mit in die Friedensförderung. Nicht aber, wie ursprünglich offeriert, als Quartiermeister. Hierfür fehlte der Abteilung SWISSINT die Courage. Dennoch möchte ich betonen, dass es nie einfach ist, Veränderungen zu bewirken. Die Armee hat gelernt mit mir umzugehen – oder jedenfalls der allergrösste Teil der Menschen dort. Und das ist gut so.

> www.claudia-meier.ch